Malen als Weg zu sich selbst und zu anderen
Jörg Röthlisberger, Redaktor, erscheint in der Swissair News April 2020
Ying und Yang ist ein Symbol, welches der 91-jährige Erich Uehlinger gerne in seine Bilder integriert. Wie das Symbol, so ist auch sein langes Leben geprägt von hellen und auch dunklen Seiten. Das waren noch Zeiten, als der 32-jährige Zürcher seine Getrud heiratete und gemeinsam mit ihr ein spannendes und abwechslungsreiches Leben führte. Beide liebten ihren Beruf und machten Karriere, sie in der Modewelt bei Feldpausch und er in der Swissair. Kinder hatten sie keine, genossen und pflegten umso mehr Freundschaften, vor allem aus dem gesellschaftlichen Umfeld der Frau, unternahmen Reisen und spielten im In- und Ausland Golf. 33 Jahre Swissair Erich Uehlinger absolvierte in der Stadt Zürich seine Schul- und Lehrzeit, wurde Schwachstrom-Apparatemonteur und nach dem Besuch des Abendtechnikums diplomierter Ingenieur. Als solcher bewarb er sich am Ende seines Sprachaufenthaltes in England bei der Swissair und wurde prompt zur eintägigen Eignungsprüfung mit einer DC-6, gratis und sogar in der ersten Klasse, von London nach Zürich eingeflogen!1958 begann dann seine Laufbahn im Departement Technik, zuerst im Engineering, wo er Kommunikation- und Navigations-Systeme auf den Flugzeugen DC-8, Caravelle und Coronado CV-990 einführte und das technische Personal auf diesem Gebiet schulte. Für die Swissair arbeitete er zeitweise auch in Brasilien bei VARIG und bei Douglas Aircraft in den USA. Später war er in unterschiedlich leitender Position für die technische Qualitätssicherung verantwortlich. Im Ausland hielt er Vorlesungen über dieses Fachgebiet. Die Frühpensionierung mit 63 Jahren empfand er als schönstes Geschenk. Als selbständiger Consultant führte er Qualitätssicherung dann auch in die Firma Mercedes Benz Zürich ein. Höhepunkt war die Fahrt mit einem neuen Mercedes nach Stuttgart, wo er vor versammelter Belegschaft und oberstem Gremium in einem vollen Hörsaal über sein Fachgebiet referierte und auf offene Ohren und grosse Anerkennung stiess. 1998 beendete er diese Tätigkeit. Dann kam alles ganz anders Statt das Pensioniertenleben voll geniessen zu können, musste Erich Uehlinger die Betreuung und Pflege seiner an fortschreitender Demenz leidenden Frau übernehmen. Das war nicht leicht für ihn und endete mit einem Herzinfarkt. Davon hatte er sich zwar erholt, musste aber seine Frau in ein Pflegeheim geben. Jetzt schmilzt sein Erspartes wie ein Gletscher dahin, denn in nur vier Jahren musste er 400‘000 Franken für dieses Pflegeheim bezahlen. Eine nicht gut verlaufene Rückenoperation macht ihm das Gehen zur Qual und dazu kam noch eine Herzoperation. In dieser Situation allein in seiner Altstadtwohnung zu leben, war wahrlich nicht lustig. Neue Lebensinhalte Doch dank seiner offenen Art, konnte er auf Leute zugehen und neue Freundschaften finden. Drei liebenswürdige Frauen stehen ihm heute recht nahe und kümmern sich regelmässig um ihn. Die eine von der Spitex sorgt sich um medizinische und häusliche Pflege. Für das psychische Wohl sorgen eine Pflegefrau vom Pflegeheim Uster und eine Maltherapeutin. Alle drei motivierten ihn, wie früher einst wieder zu malen. Obwohl Zeichnen nie seine Stärke war, lernte er ganz allein, ohne Unterricht, den Umgang mit Farben und Pinsel. Er begann in Öl und später in Acryl zu malen: Naturlandschaften, abstrakte Bilder und solche mit Symbolen. Inspiration für die Landschaftsmalerei holte er sich am englischen Fernsehen, für die abstrakten Werke liess er seiner Fantasie freien Lauf. Die gemeinsame Arbeit mit der Maltherapeutin empfindet er als sehr befreiend und beglückend, vor allem die Gespräche über Motive, Ideen und Gedanken, ja, auch über seine Sehnsucht nach Nähe und Liebe, die in seinen Bildern zum Ausdruck kommen. Inzwischen hat er bereits seine fünfte Ausstellung realisiert, dreimal im nahen Haus zum Schwanen in der Münstergasse Zürich, einmal im Hirslanden Spital und auch im Gemeinschaftszentrum Riesbach. Seine Produktivität ist enorm, es kam vor, dass er an einem Tag gleich zwei Bilder fertigstellte. Einige, vor allem abstrakte und Landschaftsbilder, sind ausdruckstark und sehr gut gelungen. Uehlinger wünschte sich, dass Kunstkritiker in Zeitungen über seine Ausstellungen berichten würden, denn bis jetzt ist sein Oeuvre nie offiziell unterstützt oder kritisch gewürdigt worden. Schön, wenn er Bilder verkaufen kann, doch reich ist er damit nicht geworden. Erich Uehlinger sieht sich nicht als Künstler, er malt, um anderen und sich selbst eine Freude zu bereiten, das Malen bereichert ihn, bringt ihm inneren Halt und Ruhe. Er möchte auch andere ermuntern, nicht aufzugeben und auch mit 90+ etwas zu unternehmen. www.skorpi.ch